Karrieremythos: Social Freezing
Kosten, Ablauf und Erfolgsaussichten
was ist Social Freezing? Und wie sieht es aus mit Social Freezing Ablauf, Kosten und Erfolgsrate? Und warum ist es relavant im Kontext Familie und Beruf?
In den Lebensjahren ab 30 entscheidet sich meist die berufliche Laufbahn. Doch Schwangerschaften ab 35 Jahren gelten bereits als Risikoschwangerschaften.
Nicht ohne Grund. Denn schon die Chance, schwanger zu werden, sinkt, und die Wahrscheinlichkeit von Fehlgeburten und gesundheitlichen Risiken für das Kind erhöht sich von Jahr zu Jahr. Das übt auf viele (berufstätige) Frauen einen hohen Druck aus. Immer häufiger geben junge Menschen in Befragungen an, dass sie sich aus diesem Grund gegen Kinder entscheiden.
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Social Freezing – Fluch oder Segen?
Der grobe Social Freezing Ablauf bedeutet, die Eizellen einer möglichst jungen Frau einzufrieren. Damit sie zu einem späteren Zeitpunkt mit ihren eigenen, jüngeren Eizellen noch schwanger werden kann. Denn die Anzahl und die Qualität der Eizellen nehmen mit höherem Alter der Frau kontinuierlich ab, besonders ab 35 Jahren.
Anders als beim Mann – der Samenzellen kontinuierlich nachproduzieren kann – werden die Eizellen einer Frau vorgeburtlich angelegt und in den Eierstöcken bevorratet. Dabei erhöhen die jüngeren Eizellen die Erfolgsaussichten einer Schwangerschaft erheblich. Doch ist die Social Freezing Erfolgsrate so hoch, dass es sich wirklich lohnt?
Dazu gibt es auch eine Dokumentation vom ZDF, „37 Grad“: „Social Freezing – Kinder kriegen, wann du willst“ (siehe ZDF-Mediathek).
Die Reportage ist gut gemacht. Eileen, die sich bei dem Prozess des Social Freezing begleiten lässt, äußert dieselben Wünsche und Motive für das Social Freezing wie viele Frauen mit (späterem) Kinderwunsch in meinen Business und Karriere Coachings für Frauen. Daher ist Social Freezing ein Thema, mit dem ich beruflich immer wieder einmal in Berührung komme.
Status quo von Social Freezing im Kontext von Kind und Karriere
Befragungen in den USA aus dem Jahr 2013 (Hodes-Wertz et al. in „Fertility & Sterility“) ergaben, dass 88% der Nutzerinnen Social Freezing wählten, da kein passender Partner vorhanden war. Nur 24% stellten berufliche Gründe in den Fokus. Wobei Mehrfachnennungen der Gründe möglich war. Die Tendenz, berufliche Gründe in diese Überlegungen miteinzubeziehen, ist vermutlich steigend.
Großes mediales Interesse erhielt Social Freezing im Jahr 2014.
Denn die Firmen Apple und Facebook ließen verlautbaren, dass sie Mitarbeiterinnen bei diesem Prozess künftig unterstützen wollen. In den USA und auch in europäischen Ländern – wie zum Beispiel in Großbritannien – ist ein Trend ersichtlich, dass Unternehmen ihre Arbeitnehmerinnen vermehrt bei diesem Vorhaben unterstützen.
Auch in Deutschland gibt es Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Unternehmen dabei zu assistieren, ihren MitarbeiterInnen Fertility Benefits anzubieten.
Das sind zum Beispiel die Unternehmen Onuava oder auch Peaches. Jüngstes prominent platziertes Beispiel ist Kearney. Die Unternehmensberatungsfirma veröffentlichte, dass sich MitarbeiterInnen anonym beraten lassen können. Und im Kinderwunsch auch finanziell fördern lassen können, wohl mit bis zu 40.000 Euro pro MitarbeiterIn. Das sorgt für Aufmerksamkeit.
„Focus online“ sieht das übrigens ähnlich und hat am 15. Mai 2023 einen Artikel „So kannst du die biologische Uhr beeinflussen“ mit CEO Julia Neuen von Peaches veröffentlicht.
Es wird im Rahmen der Arbeitgeberunterstützung diskutiert, ob und wie weit ein Eingreifen von ArbeitgeberInnen in die individuelle Familienplanung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt. Und welche ethischen und medizinischen Konsequenzen die spätere Elternschaft für die Eltern und auch die Kinder hat.
Ich möchte bewusst auf emotionale Argumente, wie das höhere Alter der Eltern (das Vor- und Nachteile hat), den ethischen Aspekt und das gesundheitliche Risiko für Mutter und Kind verzichten. Es geht in diesem Artikel rein um die Effektivität des Social Freezing hinsichtlich der Karriere und möglicher späterer, aufgeschobener Mutterschaft. Dafür findest du Social Freezing Ablauf, Kosten und Erfolgsrate.
Social Freezing – Kosten und Erfolgsrate
Die Nachteile!
Vorab: Es steht außer Frage, dass Kinder unbezahlbar und jeden Aufwand und jede Mühe wert sind … Aber führen die hohen Kosten des Social Freezing tatsächlich zum Kind?
Studie „Kinderwunsch auf Eis“
In einer Schweizer Studie der ETH Zürich „Social Freezing – Kinderwunsch auf Eis“ von Sarah Fässler et al. mit Unterstützung der TA-SWISS, Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung, aus dem Jahr 2019 steht:
Expertenmeinung zur Social Freezing Erfolgsrate & Kosten
Um besser zu verstehen, warum das so ist, habe ich mich an Dr. Frank Tetens gewendet. Er ist Biologe, Embryologe und Leiter des IVF-Labors im Kinderwunschzentrum Karlsruhe (IVF = In-Vitro-Fertilisation). In einer Diskussion auf LinkedIn führt er aus:
„Nachkommen ‚auf Abruf‘? Falsch! Der zeitliche und finanzielle Aufwand ist hoch, bei geringen Chancen auf ein Kind.“ Er kalkuliert die Gesamtkosten des Social Freezing – mit der Chance auf EIN Kind – mit knapp 25.000 Euro für den gesamten Prozess inklusive mehrjähriger Kryokonservierung.
An dieser Stelle herzlichen Dank an Herrn Dr. Tetens, dass ich ihn zitieren darf, und für sein Mitwirken an diesem Artikel.
Verschiedene Angaben zu den Kosten
In der ZDF-Dokumentation „37 Grad“ werden die Kosten des Social Freezing lediglich mit 3.500 Euro beziffert plus möglicher weiterer 2.000 Euro für die darauffolgende künstliche Befruchtung. Vermutlich wurde hier mit einer Insemination und einem sofortigen Erfolg gerechnet.
Rein statistisch ist das aber anders. In einer dadurch angestoßenen Diskussion wurde geäußert, diese Kosten seien deutlich niedriger als der Selbstbehalt einer später eventuell(!) benötigten IVF.
Wenn man den Social Freezing Ablauf kennt, ist das fast schon ein guter Witz.
Denn die Eizellentnahme ist einer der ersten Schritte im künstlichen Befruchtungsprozess (In-Vitro-Fertilisation IVF plus Intracytoplasmatische Spermieninjektion ICSI), und Krankenkassen werden den Rest der Kosten bis zum Kind nicht tragen, da bei Social Freezing keine medizinische Ursache vorliegt. Und für die Kostenübernahme einer regulären IVF/ICSI müsste eine medizinisch bedingte Ursache zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Der Beginn von Social Freezing bedeutet demnach immer, dass die weiteren Schritte einer künstlichen Befruchtung beziehungsweise ICSI eingehalten werden müssen, um dadurch möglicherweise ein Kind zu bekommen. Die ICSI ist bei der Wahl des Social Freezing definitiv notwendig, wenn man die eingefrorenen Eizellen auch nutzen möchte.
So werden die Kosten des gesamten selbst zu bezahlenden Social Freezing Prozesses bis hin zum Kind dadurch ganz sicher höher ausfallen als nur der Selbstbehalt einer gegebenenfalls später medizinisch indizierten IVF.
Social Freezing Ablauf: welche Kosten sind denn nun richtig?
Ich danke Herrn Dr. Thomas Sander und seinem Kinderwunschzentrum in Liechtenstein für die Informationen rund um den Social Freezing Ablauf – der ICSI – und die persönlichen Auskünfte. Ich kenne Herrn Dr. Thomas Sander seit über zwanzig Jahren und kann ihn für eine persönliche Beratung rund um den assistierten Kinderwunsch vorbehaltlos empfehlen.
Der Social Freezing Ablauf
Details zum Ablauf von Social Freezing
Nach eingehender Beratung, Blutuntersuchung und gynäkologischer Untersuchung wird das passende Protokoll für die hormonelle Stimulation ausgewählt. Diese wird benötigt, um mehrere gleichzeitig reife Eizellen heranwachsen zu lassen.
Im natürlichen Zyklus der Frau würde man voraussichtlich – abhängig vom Alter der Frau und der individuellen Eizellreserve – lediglich bis zu 2 Eizellen gewinnen können. Der Nachteil dieses natürlichen Zyklus wird durch eine hormonelle Stimulation umgangen.
Im Stimulationszyklus wird zunächst der eigene Zyklus der Frau künstlich heruntergefahren. Danach erfolgt die hormonelle Stimulation der Frau mit Hormonpräparaten: Gonadotropine oder Follikelstimulierende Hormone (FSH). Die Frauen spritzen sich die Medikamente selbst.
Regelmäßige Blut- und Ultraschalluntersuchungen (alle zwei bis fünf Tage) überwachen den Prozess der Eizellreifung und stellen den richtigen Zeitpunkt zur Eisprungauslösung fest (durch die Hormongabe ausgelöst).
Etwa 36 Stunden nach der sogenannten Auslösespritze werden die Eizellen aus den Follikeln (Eibläschen) aus den Eierstöcken abpunktiert. Das ist ein ambulanter Mini-Eingriff von ca. 20-minütiger Dauer, er wird entweder in Vollnarkose (z. B. Propofol) oder lediglich unter Sedierung (z. B. Fentanyl/Dormicum) durchgeführt.
Bei einem stimulierten Zyklus werden durchschnittlich 6 bis 9 Eizellen gewonnen. Möglich ist jedoch alles zwischen 0 und 25. Die Qualität der individuellen Eizellen leidet bei höherer Quantität nicht.
Risiken
Es besteht bei vielen von der Frau produzierten Eizellen allerdings das Risiko eines Überstimulationssyndroms mit mehrtägigem Klinikaufenthalt infolge, weswegen eine hohe Eizellproduktion aufgrund des medizinischen Risikos vermieden wird.
Dr. Tetens führt diesbezüglich aus, dass jeweils ein einziger Stimulationszyklus mit jeweiliger Anästhesie und ambulanter Eizellentnahme pro Stimulationszyklus 3.000 bis 5.000 Euro kostet.
Für die Kryokonservierung werden die Eizellen isoliert und eingefroren. Die Kosten für die Lagerung werden jährlich berechnet, daher entstehen hier fortlaufende Kosten bis zur Nutzung der Eizellen.
So weit, so gut, dies ist der erste Teil des Social Freezing Prozesses. Die Eizellen liegen nun auf Eis und sind für eine spätere Benutzung bereit.
Welche Faktoren beeinflussen außerdem die Social Freezing Erfolgsrate und Kosten?
In assistierten Reproduktionsstudien wird anstelle von „Kind“ von „Lebendgeburten“ gesprochen, was leider schon viel aussagt. Folgende Schritte beeinflussen den Weg und die Social Freezing Erfolgsraten wesentlich:
Wie viele eingefrorene Eizellen oder Embryonen gibt es als Ausgangslage?
Mehrere davon werden aufgetaut, damit möglichst mehrere das Auftauen überleben und für die anstehende Befruchtung verwendet werden können. Die Qualität der Kryokonservierung und des Auftauens macht dabei sehr viel aus.
Diesen Prozess überstehen je nach Verfahren und der Qualität 66 bis 90% der eingefrorenen Eizellen. Die Freeze/Thaw-Überlebensrate (Überlebensrate nach dem Auftauen der Eizellen) ist abhängig vom Alter der Eizellen bzw. vom Alter der Frau bei Eizellentnahme.
Wie viele der aufgetauten Eizellen lassen sich befruchten?
Die durchschnittliche Befruchtungsrate einer ICSI liegt bei ca. 65%. Die dazugehörige Spannweite ist jedoch sehr breit, in ca. 10% der Fälle gibt es auch eine Nullbefruchtung.
Auch hier erläutert Dr. Tetens die Kosten: „ICSI pro Versuch an ca. 10 Eizellen, abhängig vom durchführenden Zentrum: mehr als 500 Euro pro mit Spermium injizierter Eizelle. Bei Verwendung von Sperma von einer Samenbank, falls kein eigener Partner Samenspender ist: ca. 1.000 Euro pro Versuch für Spendersamen. Und dann kommt noch das ein oder andere Add-on dazu.“
Das Labor beobachtet über einen kurzen Zeitraum hinweg die weitere Entwicklung der Embryonen, um sicherzustellen, dass dasjenige/diejenigen mit der besten Qualität bei der Frau „eingesetzt“ wird/werden.
Wie viele Embryonen oder Versuche braucht man, um schwanger zu werden?
Je nach Alter der Frau und vorangegangen Versuchen des Schwangerwerdens werden pro „Rückgabe“ ein oder auch mehrere Embryonen eingesetzt. Kosten entstehen hier nochmals für die Ultraschalluntersuchungen vor Transfer, Embryokultur und den Transfer selbst.
Ob du natürlich schwanger wirst oder per ICSI, macht wenig Unterschied: Je nach Alter der Frau und Qualität der Embryonen beträgt die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, etwa 25%. Das heißt, durchschnittlich werden vier Versuche des Einsetzens benötigt, um schwanger zu werden.
Erwartungshaltung
Schwangerschaft bedeutet leider noch nicht die Lebendgeburt eines gesunden Kindes.
Spielen wir den Gedanken jedoch einmal positiv weiter: Die Schwangerschaft ist dank Social Freezing geglückt, und die inzwischen errungene Karriere sicher (die durch Social Freezing jedoch nicht garantiert erreicht wurde!). Ein gesundes Kind wird geboren.
Wahrscheinlich verfügen später-werdende Eltern über ein größeres finanzielles Polster, was ihnen nun mehr Wahlmöglichkeiten bezüglich der Dauer der Elternzeit und diverser Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten im Haushalt sichert. Das ist durchaus ein immenser Vorteil.
Die eigene und externe Erwartungshaltung, in eine karriere-orientierte Rolle schnell zurückkehren und „Business as usual“ aufnehmen zu müssen, kann jedoch auch zutreffen.
Mein Fazit zu Social Freezing für Kind und Karriere
Frauen, die ihre Eizellen kryokonservieren lassen, investieren viel Geld* in ein Verfahren, dessen Erfolgschancen zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar bestimmt werden können. Damit sichern sie sich weder die Karriere noch das gewünschte Kind.
*Hier vertraue ich der transparenten Aufschlüsselung von Dr. Tetens, dass die Kosten für Social Freezing sehr viel eher bei 25.000 Euro pro Kind liegen (als bei 5.000 bis 6.000 Euro wie in der genannten ZDF-Sendung „37 Grad“ angeführt).
Du suchst noch weitere Infos?
Hier im Blog findest du viele weitere Informationen zu Familie und Beruf oder auch Karriere. Ich bin spezialisiert auf die Beratung von Frauen und Unternehmen. Wenn du deine eigene Karriere planen möchtest oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern möchtest, bist du hier genau richtig. Melde dich gerne für ein kostenfreies Erstgespräch.
Von Marina Bernardo
Gründerin von Coachiba, Unternehmerin und zweifache Mama.
Alle Coachiba Blogbeiträge sind selbst verfasst und umfangreich recherchiert – ergänzt mit Tipps aus meiner Tätigkeit als Beraterin und Coach. Da im Netzt immer mehr Inhalte reiner KI-Tool Produkte auftauchen, ist es mir wichtig das bewusst zu machen.
Viel Spaß beim Lesen!